Als Dolmetscher*innen möchten wir darauf aufmerksam machen, dass Sprache neben der sozialen Ebene des Austausches untereinander auch eine politische Ebene hat. Warum unsere Arbeit wichtig ist, stellen wir hier auf inhaltlicher und praktischer Ebene dar.
Was macht Sprache?
Sprache ist Macht. Erst wer gehört wird bzw. verstehen kann, worum es in einem Austausch geht, kann gleichberechtigt an einer Gesellschaft teilhaben. Wir wollen Menschen durch unsere Verdolmetschung die Möglichkeit geben, sich auszudrücken, wo sie sonst nicht zu Wort kommen würden, und reagieren zu können, wo ihr Recht auf Mitsprache sonst übergangen würde. Sprache bildet Sachverhalte nicht nur ab oder gibt Ereignisse wieder, sie schafft und konstruiert Realität. Wie wir sprechen beeinflusst, was wir äußern und vor allem, wie es von anderen verstanden wird. Wie Dinge kommuniziert, dadurch reproduziert und festgeschrieben werden, ist also für das eigene und das kollektive Bewusstsein von entscheidender Bedeutung.
Wir möchten darauf hinweisen, dass nicht immer von gesprochenem Deutsch als der Standard-Sprache bei Veranstaltungen, Podien usw. ausgegangen werden muss. Indem nicht-deutschsprachige Personen auf Veranstaltungen vortragen und in Diskussionen sprechen – und verstanden werden – können Machtstrukturen aufgebrochen werden. In vielen Kontexten sind Deutsch und Englisch (manchmal auch Französisch und Spanisch) die dominanten Arbeitssprachen. Dieses Ungleichgewicht ist Teil gewaltvoller Strukturen (Kolonialismus, Kapitalismus, etc). Das hat zur Folge, dass Menschen, die weniger dominante Sprachen sprechen, oder in einer Gesellschaft einer Minderheit angehören, sich weniger beteiligen können. Für sie ist es viel schwieriger, gesehen und verstanden zu werden, denn die Möglichkeit zu sprechen wird ihnen oft verweigert. Häufig gibt es nicht genug Dolmetscher*innen für marginalisierte Sprachen und diese werden nicht verdolmetscht. Ein anderes Problem: lokale Varietäten von Kolonialsprachen (z.B. senegalesisches Französisch, indisches Englisch, venezolanisches Spanisch) werden oft nur unzureichend und ungenau gedolmetscht. Dadurch werden Inhalte vereinfacht und Zusammenhänge gehen verloren.
Ein Großteil der von uns angebotenen Sprachen gehört zur Gruppe der dominanten Sprachen. Und auch der Fakt, dass dieser Text hier bisher nur auf Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch steht, macht deutlich, dass wir als Kollektiv noch ein großes Stück des Weges hin zum Aufbrechen sprachlicher Hegemonien vor uns haben.
Was machen wir mit Sprache(n)?
Wie bereits geschrieben, schafft Sprache Realität, spiegelt und reproduziert Machtverhältnisse, kann Barrieren schaffen oder überwinden – je nachdem, wie wir sie einsetzen. Deshalb bemühen wir uns im Dolmetschkollektiv darum, mittels unterschiedlicher Strategien diskriminierende Sprache nicht einfach wiederzugeben. Für welche Strategie sich der*die Dolmetscher*in entscheiden wird, hängt von der Situation und der Person ab. Es geht jedoch immer um eine Balance zwischen zwei Zielen: Wir versuchen,
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diskriminierende, verletzende Sprache zu ersetzen oder zu verändern und gleichzeitig
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solche problematischen Begriffe oder Äußerungen kritisch zu kommentieren und unseren Eingriff kenntlich zu machen.
Um ein Beispiel zu geben: Wenn die Person in ihrem Redebeitrag von „illegaler Einwanderung“ spricht, würden wir diesen Begriff beim Dolmetschen durch „illegalisierte Einwanderung“ ersetzen, jedoch mit einer kurzen Bemerkung versehen, dass wir gerade eingegriffen haben (falls es nicht einfach nur ein Versprecher oder Flüchtigkeitsfehler war).
Wir möchten Euch schon vorab darauf aufmerksam machen, dass wir beim Arbeiten auf diskriminierungsarme Sprache Wert legen und uns dasselbe von den Menschen wünschen, für die wir dolmetschen. Wir weisen die*den Redner*in vor der Veranstaltung auf unsere Strategien im Umgang mit diskriminierender Sprache hin.